Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
277 „Wenn ich da wieder rauskomme, wirst du dein blaues Wunder erleben.“ „Miststück!“ „Du dumme Ziege!“ „Habt ihr’s auch schon mal mit einer vernünftigen Aussprache versucht?“ Winkelried war doch etwas erstaunt über die Metho- den des Statthalters. „Was haben sie denn getan?“ Eine Frau aus dem Volk gab Antwort: „Die eine macht der anderen den Vorwurf, ihr Kleid sei zu kurz und zu reich verziert. Die Richter befanden beide für schuldig, weil die eine wirklich eine zu breite Spitze am Rock trägt, wie es der Rat der Stadt nicht erlaubt, und die andere, weil sie ihre Nachbarin mit Schimpfwörtern öffentlich beleidigt hat.“ Arnold konnte es nicht fassen: „Habe ich also recht verstanden, du schreibst den Menschen in deiner Stadt vor, wie breit die Spitzen an ihren Röcken sein dürfen?“ „Na, sicher, die würden sonst jedem neuen Brauch nachgeben.“ „Nun, dann wundere dich aber künftig auch nicht darüber, wenn solche Streitereien kein Ende nehmen.“ „Was ist denn daran falsch?“ „Erkläre den Menschen das Wesen der Dinge und stülpe ihnen nicht einfach starre Gesetze über den Kopf. Wenn dir ein Kleid unsittlich erscheint, dann stell deinem Volk die daraus entste- hende Unmoral vor Augen. Sie müssen doch verstehen, warum sie sich sittsam anziehen sollen.“ Unweit davon sah er eine Frau in einer Trülle. Ihr Kopf war nach unten geneigt. Nur mit Mühe konnte sie sich an den Holz- stäben aufrecht halten. Erwachsene und Kinder drehten immer mehr an ihrem Holzgefängnis, bis sie weinend zu Boden fiel. Links davon war eine andere Frau mit Ketten an eine Mauer ge- fesselt. Alle spuckten die Verurteilte an, verlachten und ver- höhnten sie und schnitten ihr Grimassen.
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