Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
206 Sie sank auf ihr Strohlager zurück. Wann, ja wann, würde sie frei sein? Eines war klar: Wenn sie nicht bald einmal etwas zu essen und zu trinken bekommen würde, dann müsste sie sicherlich bald sterben. War das die Freiheit – die ersehnte, die sie suchte? War ihr Traum vergeblich geträumt, in dem sie sich als Mutter von vielen Kindern sah, Seite an Seite mit ihrem geliebten Arnold? Würde sich ihre Sehnsucht nach einem Reich des Friedens hier auf Erden nicht mehr erfüllen? Früher hatte sie sich manchmal gewünscht, sie könnte sterben, um diesem trostlosen Gefängnis zu entfliehen. Doch jetzt erfasste Traurigkeit ihr Herz, wenn sie an das Sterben dachte. Anneli seufzte. Oh Jesus! Wenn ich einzig mit Dir zusammen sein kann, dann frage ich doch nicht mehr nach Himmel und Erde! Es ist wahr: Du bist mein Leben und meine Freiheit! Aber, mit Dir wei- terzuleben – in Freiheit – das wäre doch noch viel besser, oder? … Oh, Jesus, bitte erbarme Dich! – Lass mich jetzt nicht sterben! Arnold stand auf einem kleinen Plateau, dem Turm gegenüber. Er zog seine Steinschleuder aus der Hüfttasche. Um sein Vorha- ben durchzuführen, musste er die Wache ablenken. Mit geüb- tem Wurf liess er einen Stein gegen die rechte Aussenmauer schnellen. Wie erwartet rannte der Wächter dorthin, um nach dem Geräusch zu schauen. Diesen Moment nutzte Arnold. Er legte einen pergamentumwickelten Stein auf seine Schleuder, schickte ein kurzes Stossgebet zum Himmel und schleuderte den Stein treffsicher durch die kleine Luke in den Turm zu Anneli. Nun war alles vorbereitet! Plötzlich schoss etwas durch die Luft und schlug polternd auf den Boden. Anneli schrak zurück. Was war das? Sie blickte ver- wundert auf eine kleine Pergamentrolle, die soeben vor ihren Füssen gelandet war. Erstaunt rieb sie sich die Augen. Träumte
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