Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
177 Die Königsbeichte Es war zur Essenszeit, als ein Bote im Refektorium erschien. Irritiert hielt der Tischvorleser in der Lesung der Psalmen inne. Arnold bemerkte erst durch die plötzlich eingekehrte Stille den ungewöhnlichen Gast. Der Diener verbeugte sich knapp und verkündete: „Der ehr- würdige Abt entsendet an die Mönche des Klosters Marienhorn seinen Segen. Neue Ehre wird dem Kloster zuteil, für welches er voll Gotteslob ist. Der König, Seine Gnaden Leopold I., schickt zwei seiner Vasallen, Ludwig den Bayern und Friedrich den Schö- nen, am morgigen Tage, damit sie den Segen Gottes zu ihrer Königsweihe empfangen.“ Ein Raunen ging durch den Saal. Was hat das nun schon wieder zu bedeuten?, fragte sich Noldi. „Um die königlichen Herrschaften würdig zu empfangen, erbit- tet der Abt sich eine Abordnung von zehn Mönchen. Anschlies- send verlese ich die Namen der auserwählten Mönche. Sodann werdet ihr euch morgen vor der Sexta in der Kirche einfinden.“ Mit feierlicher Miene entrollte der Diener ein Pergament und las laut vor: „Bruder Michael, Bruder Johannes, Bruder Rober- tus, Bruder Sebastian, Bruder Arnold …“ Arnold zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte. Es sickerte in sein Bewusstsein, dass er morgen dem Abt gegenüberstehen würde. Bisher hatte er ihn selten und nur von weitem zu Gesicht bekommen. Nun würde er dem Mann, der für all die Schandtaten verantwortlich war, von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Er achtete kaum noch auf die Namen, die der Bote weiter nannte. Es würde sich zeigen, wofür diese Begegnung gut war. Am folgenden Tag war Arnold unruhig. Er sehnte die Mittags- zeit herbei, und seine Gedanken schweiften beständig ab. Als es endlich so weit war, verliess er das Skriptorium. Dort hatte er am Morgen Texte kopiert, und nun ging er zu dem Nebensaal
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