Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
172 Die Königin hob ihren Blick mit einem beunruhigten Gesichts- ausdruck. Sie wusste zwar, dass ihr Mann Sorgen hatte; aber so hatte sie ihn noch nicht reden gehört. „Der gesamte Alpenraum ist ein einziger Unruhekessel. Er ist Zuflucht von allen Ketzern und ihren Verbündeten geworden.“ Die Stimme Leopolds wurde grimmig. Viktoria blickte ihn an und öffnete ihre Lippen, als wollte sie sprechen. Doch tief atmend setzte er fort: „Diese Landstücke sind voller österreichischer Va- sallen, die mit den Eidgenossen in Vorherrschaftsverträge einge- treten sind. Wehe uns, wenn’s zu einem Krieg kommt!“ Die Königin liess ihre Hände mit dem Stickrahmen sinken und fragte mit einem zynischen Unterton: „Aber bist du nicht Leo- pold I., der einzig berechtigte Thronerbe Heinrichs? Schaffst du es denn gar nicht mehr allein? Brauchst du wirklich mit einem Mal Mitregenten? An wen hast du dabei gedacht?“ „Es käme wohl niemand anders als mein leiblicher Bruder in Frage.“ Ist mein Mann von Sinnen?, schoss es Viktoria durch den Kopf. Sie musste schlucken. „Friedrich der Schöne? Das möge der Himmel verhüten! Der wartet doch nur darauf, bis er dir die Krone vom Kopf reissen kann. Du würdest Kopf und Kragen riskieren mit ihm! Und wen sonst noch?“ Leopold verzog für einen kurzen Augenblick das Gesicht. Es kam nicht häufig vor, dass seine Frau ihm so direkt widersprach. In der Regel versuchte sie, ihn mit ihren weiblichen Waffen oder mit sanfter Manipulation zu lenken. „Ich könnte mir niemand anders vorstellen als Ludwig den Bay- ern. Sie würden zusammen die Herrschaft im Westen und Süden aufteilen. Ich habe beide für den heutigen Tag zu einer gemein- samen Beratung eingeladen. Sie müssen bald eintreffen.“ „Ah, Ludwig der Bayer, nun ja, warum auch nicht …“ Ihr Echo kam in beinahe träumerischem Ton. Es war spürbar, dass dieser
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