Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

171 KÖNIGLICHE KABALE eopold von Habsburg hatte in der Nacht kaum geschlafen, wie so oft in diesen Tagen. Durch das offene Fenster des Empfangssalons wehte eine kühle Frühsom- merbrise. Leopolds langes Haupthaar bewegte sich fast unmerk- lich. Die Strahlen der Morgensonne zeichneten einen hellen Streifen auf das Parkett des prunkvoll ausgestatteten Raumes. Das Lichtband am Boden reichte bis zu einem Tisch, über den sich der König breitbeinig beugte. Viktoria, seine Gattin, sass in ihrem Lieblingssessel neben dem des Königs und widmete sich hingebungsvoll ihrer Stickereiarbeit. Leopold stützte sich rechts und links auf die Tischkanten und starrte missgelaunt auf die Landkarte seines Königreiches. Er war sich in diesem Moment der Anwesenheit Viktorias im Raum überhaupt nicht bewusst. Die senkrechte Falte zwischen seinen Brauen vertiefte sich, als es aus ihm herausbrach: „Es ist wie Fluch; das Land ist zerstückelt. Der Osten vom Westen getrennt, und überall Unruhen. Ich will alle Länder vereinigen! Ein Volk, eine Sprache, eine Religion – ein König! Ich will dieses ganze Land!! Aber es wird unmöglich sein, es zu regieren, wenn ich nicht einen Mitregenten, vielleicht sogar zwei, einsetze.“ Leopold setzte zwei Schachfiguren auf die Landkarte: den schwarzen und den weissen König.

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