Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

167 Die schaulustige Menge liess sich davon nicht beeindrucken. Sie verspottete und bespuckte die Frauen, während die Mönche ih- ren Weg zum Dorfpranger fortsetzten. In diesem Augenblick erregte ein Tumult bei den Ablassverkäu- fen Arnolds Aufmerksamkeit. „Dieb! Haltet den Dieb!“, erklangen Rufe auf der Strasse. Ein Junge hatte sich an den Tisch herangeschlichen und sich eines funkelnden Talers bemächtigt, der als Ablasseinkunft auslag. Ein Habsburger verfolgte schnaubend den kleinen Flüchtling und holte ihn mit wenigen Schritten ein. Wutentbrannt packte er ihn am Kragen und zog sein Schwert. Schreiend versuchte die Mutter, ihren Knaben vor der Wut des Habsburgers zu schützen: „Bitte, lasst ihn!! Habt Erbarmen! Er hat nur gestohlen, weil wir kein Brot mehr kaufen können! We- gen der allzu hohen Steuern ist all unser Geld weg!“ Der Habsburger zuckte verächtlich mit den Schultern. „Was geht’s mich an, Frau? So, und das soll euch nun eine Lehre sein!“ Mit zusammengekniffenen Lippen schwang er sein Schwert in die Luft. Ein kräftiger, erbarmungsloser Schlag! Er hieb dem verzweifelt zappelnden Kind ein Ohr ab. Ein gellender Schrei drang durch die Luft. Die Mutter umfasste ihr Kind, das sich windend und die Wunde haltend in ihren Röcken barg. In weher Klage jammerte die Frau. Das Blut des Kindes rann an ihren Händen hinab und tropfte in den Schnee. Der Ritter drehte sich gleichgültig um und ging zurück in die Gasse, aus der er gekommen war, dicht an Arnold vorbei. Eine Welle des Hasses stieg in Noldi hoch und schnürte ihm die Kehle zu. Er trat beiseite, grüsste den Habsburger dennoch mit gefal- teten Händen und frommem Nicken, wartete, bis er ein paar Schritte entfernt war, und dann folgte er ihm. In diesem Mo- ment konnte Arnold nicht mehr denken; er wurde nur noch ge- trieben von einer Wut, die nach Gerechtigkeit dürstete.

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