Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

159 doch etwas in seinem Gewissen stach ihn. Dass er die Mönche betrog, belastete ihn nicht. Sie waren selbst Heuchler. Doch dass er Pater Waldes belügen musste, der ihm mittlerweile sehr nahestand, plagte ihn. Bewusst musste er sich nun für ein Dop- pelleben entscheiden. „Noldi“, erklang Waldes’ gutmütige Stimme neben ihm. „Heute ist ein besonderer Tag für dich. Ich danke Gott von Herzen, dass Er deine Wege so gelenkt hat, und ich bete darum, dass dein Herz es ehrlich meint.“ Arnold wandte den Kopf ab, damit sein Lehrer nicht die Seelen- not in seinen Augen sehen konnte. Für Waldes hätte er es tat- sächlich gerne ehrlich gemeint, doch der Grimm hatte sein Herz schon zu sehr durchtränkt. „Zur sechsten Stunde wirst du heute mit den anderen Novizen im Oratorium stehen.“ Bis dahin verbrachte Arnold die Stunden in der Novizenschule beim Pater. Sie waren allein. Waldes hatte Bücher aus der Bib- liothek geholt. Schweigend sassen die beiden nun da, über ihre Lektüre gebeugt. Es waren besondere Werke, die die Abtei aus dem Tegernseer Kloster entliehen hatte, um sie zu kopieren. Arnold hatte sich in den Kopf gesetzt, die nächste Zeit der Ab- schrift eines seltenen Juvenal-Textes zu widmen. Erstaunlicherweise hatte er damals, als er das Skriptorium das erste Mal betreten durfte, ein erstaunliches Talent für Bücherab- schriften und Illustrationen bewiesen. Es war eine anstrengende Arbeit, die den Geist ebenso wie den Körper stark erschöpfte. Zudem war es im Skriptorium kalt, und die Mönche kämpften mit ihren steifen Fingern, damit nicht die gesamte mühsame Ar- beit zerstört würde. Aus diesem Grund hatte sich Waldes und sein Schüler auch in das Schulgebäude zurückgezogen, das über eine angenehmere Temperatur verfügte.

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